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Das „Discovery“-Verfahren und die Angst vor der Ausforschung - Deutschland ermöglicht das Verfahren der “pre-trial discovery of documents“ in internationalen Rechtshilfeverfahren

  • Germany

    27-06-2022

    Im Zuge der Neufassung der EuBVO1 und der nachfolgenden Anpassung zivilprozessualer Vorschriften hat es mit dem Änderungsgesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen („HBÜ-AusfG“) ein alter Bekannter nunmehr durch den Bundesrat geschafft. Deutschland erweitert so mit Wirkung ab dem 01.07.2022 im Verhältnis zu Common Law Staaten unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtshilfemöglichkeiten in Bezug auf eine “pre-trial discovery of documents“ (Dokumentenherausgabe).

    Vorgeschichte

    Das Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen ("HBÜ") schafft ein Rechtshilfesystem zur Beweishilfe zwischen den teilnehmenden Konventionsstaaten, insbesondere zwischen denen des Civil Law und des Common Law. Art. 23 HBÜ belässt hierbei den Unterzeichnerstaaten die Möglichkeit, Rechtshilfeersuchen bzgl. der sog. „pre-trial discovery of documents“ auszuschließen. Von dieser Möglichkeit hat Deutschland Gebrauch gemacht. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten von diesem allgemeinen Vorbehalt allerdings gem. § 14 Abs. 2 HBÜ-AusfG a.F. Ausnahmen möglich sein, soweit “tragende Grundsätze des deutschen Verfahrensrechts“ nicht entgegenstehen. Die zugehörigen Voraussetzungen und das Verfahren sollten per Rechtsverordnung geregelt werden, wobei die Zustimmung des Bundesrates notwendig war. Die Bundesländer blockierten in der Vergangenheit aber den Erlass dieser Rechtsverordnung.

    Im Jahr 2017 wies der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages einen ähnlich lautenden Gesetzesentwurf mit dem Argument zurück, dass ein Ausforschungsbeweis nach deutschem Zivilprozessrecht grundsätzlich unzulässig sei und empfahl, die Zivilrechtshilfe nicht für die „pre-trial discovery of documents“ zu öffnen. Der Gesetzgeber folgte seinerzeit dieser Empfehlung.

    Was genau bedeutet „pre-trial discovery of documents“?

    Laut Gesetzesbegründung ist das Verfahren der „pre-trial discovery of documents“ (…) eine im Common Law vorgesehene Form der Beweiserhebung, die weit über die ZPO-Vorschriften zur Dokumentenvorlage hinausgeht. Sie ermöglicht es jeder Prozesspartei, einen umfassenden Einblick in Dokumente im Besitz der anderen Prozesspartei und unter Umständen sogar in Dokumente nicht am Prozess beteiligter Dritter zu nehmen.“ 2

    Es handelt sich also um ein sehr weitgehendes Beweisermittlungsverfahren, mit der eine Dokumentenherausgabe und ggf. eine Ausforschung einer anderen, nicht einmal am Prozess beteiligten, Partei erreicht werden kann, häufig auch als "fishing expedition" bezeichnet. Ein vergleichbares Verfahren existiert im deutschen Zivilprozessrecht nicht.

    Was ändert sich nun?

    Nach dem neuen § 14 HBÜ-AusfG können Rechtshilfeersuchen in Bezug auf „pre-trial discovery of documents“ nun erledigt werden, wenn

    1. die vorzulegenden Dokumente im Einzelnen genau bezeichnet sind,

    2. die vorzulegenden Dokumente für das jeweilige Verfahren und dessen Ausgang von unmittelbarer und eindeutig zu erkennender Bedeutung sind,

    3. die vorzulegenden Dokumente sich im Besitz einer an dem Verfahren beteiligten Partei befinden,

    4. das Herausgabeverlangen nicht gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstößt, und

    5. soweit personenbezogene Daten in den vorzulegenden Dokumenten enthalten sind, die entsprechenden Voraussetzungen für die Übermittlung in ein Drittland erfüllt sind.

    Diese engen Voraussetzungen sollen zum einen der unbilligen Ausforschung entgegenwirken, da nur solche Ersuchen erledigungsfähig sind, in denen die jeweiligen Dokumente genau bezeichnen werden, die Bedeutung der vorzulegenden Dokumente für den Ausgang des konkreten Verfahren eindeutig darlegt wird und sich die Dokumente im Besitz einer am Verfahren beteiligten Partei befinden.3 Zum anderen werden die wesentlichen Grundsätze deutschen Rechts gesichert sowie der Schutz personenbezogener Daten gewährleistet. Insgesamt werden so wohl auch die Auswirkungen der „pre-trial discovery“ für die betroffene Partei entschärft, z.B. die mit dem Verfahren verbundenen Kosten, der zeitliche Aufwand sowie sonstige rechtliche Probleme.

    Hatte der Gesetzgeber 2017 seinen Gesetzesentwurf unter anderem noch damit begründet, durch die Anpassung solle verhindert werden, dass US-amerikanische Gerichte in entsprechenden grenzüberschreitenden Beweisverfahren gegenüber deutschen Beteiligten ihr nationales Zivilverfahrensrecht extraterritorial anwenden 4, ist dies nun nicht mehr der Fall. Nunmehr beruft sich der Gesetzgeber darauf, dass der grundsätzliche Ausschluss solcher Rechtshilfeersuchen in bestimmten Fällen zu einer nicht vertretbaren Ungleichbehandlung in- und ausländischer Dokumentenvorlageersuchen führt.5

    Zu erwartende Auswirkungen

    Mit dem ursprünglichen Ausschluss von Rechtshilfeersuchen bezogen auf die „pre-trial discovery of documents“ wollte der Gesetzgeber Unternehmen und Personen mit Sitz in Deutschland vor den mit diesem Verfahren verbundenen Risiken schützen. Dieses Ziel hat der Gesetzgeber verfehlt, da viele Beteiligte aufgrund der von den US-amerikanischen Gerichten praktizierten, extraterritorialen Anwendung des eigenen nationalen Zivilverfahrensrechts und den daraus resultierenden möglichen prozessualen Nachteilen trotzdem am Verfahren mitwirken. Die Anwendung des HBÜ durch US-amerikanische Gerichte (oder Gerichte aus anderen Common Law Staaten) in grenzüberschreitenden Verfahren nach Deutschland hätte somit aufgrund der im HBÜ enthaltenen Mechanismen (engere Voraussetzungen und geringere Kosten) Vorteile für in Deutschland ansässige Beteiligte.

    Fazit

    Die Zulassung der „pre-trial discovery of documents“, wie sie auch bereits mehrfach von Spezialkommissionen der Haager Konferenz zum HBÜ empfohlen wurde, führt aufgrund der engen Voraussetzungen nicht dazu, dass in Deutschland ansässige Unternehmen oder Personen eine Ausforschung im Wege dieses Beweisermittlungsverfahrens zu fürchten haben. Sollte die Neuregelung tatsächlich zu einer vermehrten Anwendung des HBÜ durch ausländische Gerichte bei Dokumentenherausgabeverfahren führen, dürfte dies für inländische Beteiligte grundsätzlich positive Auswirkungen haben. Ob dieser Effekt aber auch eintritt, ist derzeit noch ungewiss.

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    1 Verordnung (EU) 2020/1783 vom 25. November 2020 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil oder Handelssachen („EuBVO“).

    2 Vgl. BT-Drs. 84/22, S. 33 f.

    3 Vgl. BT-Drs. 84/22, S. 35.

    4 Vgl. BT-Drs. 18/10714, S. 22.

    5 Vgl. BT-Drs. 84/22, S. 33 f.