Global menu

Our global pages

Close

Verkaufsflächenbeschränkung auf 800 qm rechtmäßig? – Norddeutsche Gerichte uneins

  • Germany
  • Real estate

27-04-2020

 

Die Bund-Länder-Einigung zu Corona-Maßnahmen sieht seit dem 20.04.2020 vor, dass bundesweit solche Geschäfte wieder öffnen dürfen, deren Verkaufsfläche nicht mehr als 800 qm beträgt. Gegen diese Regelung, die alle 16 Bundesländer durch Verordnungen und Allgemeinverfügungen umgesetzt haben, wenden sich derzeit viele Betreiber großflächiger Einzelhandelsbetriebe im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes.

Das Verwaltungsgericht Hamburg hat schon am 21.04.2020 zugunsten des Antragstellers entschieden. Die Öffnungsbeschränkung für Geschäfte bis 800 qm sei rechtswidrig. Über diesen Beschluss entscheidet das Oberverwaltungsgericht Hamburg auf die Beschwerde der Freien und Hansestadt Hamburg zwar erst in der laufenden Woche. Es hat sich allerdings schon im Rahmen einer Zwischenverfügung geäußert.

Situation in Hamburg

Anders entschieden hat das Oberverwaltungsgericht Bremen. Die Regelung sei rechtmäßig.

Die in § 8 der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung geregelte Schließungsanordnung für Geschäfte, deren Verkaufsfläche mehr als 800 qm beträgt, sei rechtswidrig (VG Hamburg, Beschl. v. 21.04.2020 – 3 E 1675/20). Daher dürfe die Antragstellerin ihr Geschäft wieder öffnen, ohne ihre Verkaufsfläche entsprechend zu reduzieren, da sie mit ihren Einwendungen in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich Erfolg haben werde. Antragstellerin war eine große Handelskette für Sportartikel.

Laut dem VG Hamburg sei die Schließungsanordnung für Geschäfte, deren Verkaufsfläche über 800 qm beträgt, ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Gewerbetreibenden (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Anordnung führe auch zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG).

Das Gericht hat sich zunächst mit der aktuell sehr relevanten Frage beschäftigt, ob die §§ 32 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG überhaupt eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für derartige Maßnahmen darstellen. Das hat das Gericht unter Verweis auf einen entsprechenden Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster (OVG Münster, Beschl. v. 06.04.2020 – 13 B 398/290.NE) bejaht, ohne sich hierzu im Eilverfahren ausführlich zu äußern.

Hingegen sei die Regelung unverhältnismäßig.

| Einerseits seien in großflächigen Einzelhandelsbetrieben individuelle Maßnahmen zur Gewährleistung eines ausreichenden Abstands zwischen Kunden und entsprechende Hygienemaßnahmen mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser umsetzbar.

| Andererseits gebe es für die Annahme, dass von großflächigen Einzelhandelsbetrieben eine Anziehungswirkung mit der Folge ausgehe, dass sich zahlreiche Menschen in der Innenstadt "tummeln" und verstärkt öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch nehmen würden, keine Tatsachenbasis. Eine größere Verkaufsfläche habe für sich genommen keine größere Anziehungskraft. Vielmehr seien attraktive, nebeneinander liegende, kleinere Geschäfte ebenso geeignet, für volle Straßen und Verkehrsmittel zu sorgen. Eine Sogwirkung folge also nicht aus der Größe der Verkaufsfläche, sondern aus der Attraktivität des Geschäfts.

Gegen diesen Beschluss hat die Freie und Hansestadt Hamburg als Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt. Eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Hamburg steht noch aus.

Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht am 23.04.2020 eine Zwischenverfügung erlassen (OVG Hamburg, Verf. v. 23.04.2020 – 5 Bs 64/20). Laut dieser Entscheidung darf die Antragstellerin ihr Geschäft bis einschließlich 30.04.2020 nur öffnen, wenn sie ihre Verkaufsfläche auf 800 qm reduziert. Dies sei geboten, da die Erfolgsaussichten entgegen der Aussage des Verwaltungsgerichts in der Hauptsache völlig offen – und eben nicht überwiegend wahrscheinlich - seien.

Damit hebt das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts schon jetzt – vor einem entsprechenden Beschluss - faktisch auf, da großflächige Einzelhandelsbetriebe gemäß § 8 Abs. 2 der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung auch derzeit schon öffnen dürfen, wenn sie ihre Verkaufsfläche auf 800 qm reduzieren.

Situation in Bremen

Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat am 23.04.2020 über mehrere Eilanträge entschieden und in allen Verfahren die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen bestätigt. Darunter befand sich auch ein Antrag der Karstadt Sports GmbH, die in der Bremischen Innenstadt großflächigen Einzelhandel betreibt (OVG Bremen, Beschl. v. 23.04.2020 – 1 B 107/20).

Auch das Oberverwaltungsgericht Bremen bestätigt zunächst die Tauglichkeit der Ermächtigungsgrundlage (§§ 32 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG) ohne eine nähere Auseinandersetzung.

Das Gericht bestätigt aber die Verhältnismäßigkeit der Verkaufsflächenbegrenzung. Auch in Bremen dürfen großflächige Einzelhandelsbetriebe bei Reduzierung der Verkaufsfläche öffnen (§ 9 Abs. 2 der Bremischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2).

Das Gericht hat ausgeführt, dass

| Abstands- und Hygieneregeln in großflächigen Einzelhandelsbetrieben gerade nicht genauso gut oder besser umgesetzt werden könnten, da die Überwachung der Einhaltung der Regeln auf größerem Raum nicht wie in kleineren Läden gewährleistet werden könne.

| die Attraktivität eines Betriebs - wie aus dem Städtebaurecht bekannt (§ 11 Abs. 3 BauNVO) - unmittelbar mit der Größe der Verkaufsfläche zusammenhängt. Denn eine größere Verkaufsfläche sorge dafür, dass ein breitgefächertes Sortiment angeboten werden könne, sodass Kunden mit unterschiedlichsten Wünschen angezogen würden. Das wirke sich unmittelbar auf die Anzahl der Kunden aus, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen.

Resümee

Es ist zu erwarten, dass sich zeitnah weitere Gerichte im Rahmen von Eilverfahren zu diesem Thema äußern.

Bezogen auf die Überwachungsmöglichkeiten der Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln steht es in der Verantwortung des Betreibers, durch personelle und bauliche Maßnahmen für deren Einhaltung zu sorgen. Innerhalb des Geschäfts kann eine Vielzahl von Mitarbeitern dafür eingesetzt werden, auf die Einhaltung in den einzelnen Abteilungen zu achten. Dasselbe gilt für den Kassenbereich. Weiterhin kann Kundenkontakt durch Absperrungsvorrichtungen in Treppenhäusern und auf Gängen vermieden werden. Auch smarte Gebäudetechnik kann in das Hygienekonzept einbezogen werden und Abhilfe schaffen.

Es dürften sich zudem je nach Standort des großflächigen Einzelhandelsbetriebs Unterschiede ergeben. Solche Betriebe, die nicht – wie z. B. Karstadt Sport in Bremen – in der Innenstadt und zudem unmittelbar neben einer normalerweise hoch frequentierten Straßenbahn- und Bushaltestelle angesiedelt sind, dürften im Einzelfall weit weniger Auslastung des ÖPNV oder sonstige Sogwirkung verursachen.

Es erscheint sinnvoll, mithilfe von Feststellungsanträgen die individuelle Pflicht, sich an die jeweilige Verordnung halten zu müssen, zur Überprüfung zu stellen. Hierbei wird dann auch das individuelle Konzept des jeweiligen Betreibers zur Sicherstellung eines möglichst umfassenden Infektionsschutz trotz Öffnung des Betriebes zu begutachten sein. Über Feststellungsanträge ist eine inzidente Normenkontrolle „inter partes“ möglich.